Afred Schreyer wurde an 8. Mai 1922 in Drohobytsch geboren, das damals zu Polen gehörte, heute in der Ukraine liegt. Seine Mutter Leontina war Pharmazeutin, sein Vater Benno Dr. phil. sowie Chefchemiker in einer Erdölraffinerie. Beide waren sehr musikalisch und Alfred lernte Cello. Am Gymnasium war er ein Schüler des heute weltberühmten Schriftstellers und Malers Bruno Schulz. Seine Mathura machte er bereits während der ersten Sowjetokkupation im Jahre 1940. Sein erstes Geld verdiente er im Vokalquartett bei den Kulturbrigaden. Nach dem Einmarsch der Deutschen Armee (Juni 1941) wurden in Drohobytsch fünf Zwangsarbeitslager organisiert. Alfred Schreyer arbeitete als Tischlergehilfe im Dorf Herafka. Seine Familie musste ihr Haus verlassen und ins Ghetto ziehen. Es kam zur ersten sogenannten „Aktion“: Im Wald von Bronitza, wo 320 Juden erschossen wurden. Es folgten weitere Aktionen, die größte am 5. August 1942: 5.000 Juden aus Drohobytsch wurden nach Belzec deportiert und vergast. Darunter Alfred Schreyers Vater, ein Onkel, eine Großmutter und eine Tante.

Im Jahr 1943 erfolgte innerhalb eines Tages die Liquidierung von drei Zwangsarbeitslagern. Es kam zur Erschießung von 11.000 Juden aus Drohobytsch und Umgebung im Wald von Bronitza. Alfred Schreyers Mutter Leontina war auch dabei. Er selbst wurde, weil er jung und stark war, zur Zwangsarbeit in der Keramischen Werkstätte und nach deren Schließung im letzten Zwangsarbeitslager der Stadt Drohobytsch, der Karpatenerdölaktiengesellschaft, verpflichtet. Am 13. April 1944 führte das Heranrücken der sowjetischen Truppen zur Evakuierung aller Zwangsarbeiter in das Konzentrationslager Plaszow bei Krakau. Für Alfred Schreyer ging es weiter nach Groß-Rosen, Buchenwald und schließlich Taucha bei Leipzig, wo es eines Tages plötzlich hieß: Marsch, Marsch, ohne Ziel. Durch großes Glück überlebte er den Todesmarsch. Der Krieg war für ihn in Freiberg (Sachsen) zu Ende, wo am 7. Mai (einen Tag vor Schreyers Geburtstag) um 7 Uhr Früh der erste sowjetische Panzer eintraf.

Alfred Schreyer hatte die Möglichkeit, nach Argentinien auszuwandern, als er aber die Baracken des Roten Kreuzes in Berlin sah, wo er noch zwei oder drei Monate hätte ausharren müssen, beschloss er spontan, nach Drohobytsch zurückzukehren.

In Drohobytsch, wo er niemanden mehr hatte, fand Alfred Schreyer sein Glück im Kinofoyer-Orchester der Stadt. Er sang dort u.a. den sowjetischen Klassiker Im Stadtpark von Matvey Blanter. Eines Tages fragte ihn eine junge Frau nach dem Text, er diktierte, sie schrieb. So lernte er Ludmila kennen, die er am 5. Januar 1949 heiratete. Seine Tätigkeit im Kinofoyer-Orchester währte 16 Jahre. Am 10. Januar 1963 ließ Chruschtschow aus Spargründen sämtliche Kinofoyer-Orchester in der Sowjetunion einstellen. Alfred Schreyer arbeitete 42 Jahre lang als Musiklehrer im Drohobytscher Musiklyzeum.

Heute ist Alfred Schreyer eine lokale Größe. Er vermittelt uns ein Gefühl dafür, was es heißt, das 20. Jh. überlebt und seinen Optimismus nicht verloren zu haben. Der letzte Jude von Drohobytsch ist das Portrait eines außergewöhnlichen Menschen, der nie ausgewandert ist, dem dennoch – im Guten wie im Bösen – alles Erdenkliche widerfahren ist.